Macht und Akzeptanz nicht-demokratischer Strukturen

Projekt im Rahmen der „Demokratieinitiative“ der Bundesregierung 2008

Friedrich Öhl

Demokratiedefizite im Spannungsfeld von Macht und Akzeptanz in demokratischen und nicht-demokratischen Strukturen

 

Das Projekt, gedacht ab der 8. Schulstufe, soll Schüler und Schülerinnen befähigen, das Spannungsfeld zwischen demokratischen und nicht-demokratischen Strukturen zu erkennen und ihre persönliche Akzeptanz kritisch zu hinterfragen.

Macht lässt sich definieren als die Fähigkeit von Individuen und Gruppen, das Verhalten und Denken von anderen Individuen oder Gruppen in ihrem Sinne bestimmen zu können, also Entscheidungen im Sinne der Machtausübenden zu treffen. Es handelt sich um einen grundlegenden sozialen Aspekt, welcher in praktisch allen Formen des menschlichen Zusammenlebens eine Rolle spielt.

Die Zuerkennung von Macht an Einzelne oder an Gruppen bzw. die Machtausübung derselben unterliegt in einem demokratischen Gesellschaftssystem Kontrollinstanzen und einem Regelwerk, die den Missbrauch bzw. die übermäßige Anhäufung von Macht verhindern sollen.

Demokratie kann also als ein kontrollierbarer Rahmen zur öffentlichen Entscheidungsfindung verstanden werden. Jedes Zustandekommen demokratischer Entscheidungen ist mit Regeln verknüpft, deren Einhaltung Voraussetzung für die Entscheidungsfindung sind.

In jedem demokratischen System gibt es jedoch auch Subsysteme, die sich einer demokratischen Entscheidungsfindung entziehen und bei denen Personen legitimiert und mit Macht ausgestattet werden, um diese ganz bewusst nach anderen Kriterien als einer konsensualen Übereinkunft oder einem Prozess einer Mehrheitsfindung auszuüben.

Im Gegensatz zu demokratischen politischen Systemen wollen wir hier zunächst „diktatorische“ Systeme stellen, um die Differenzen aufzuzeigen.

Unter Diktaturen sind politische Systeme zu verstehen,

  • die Menschen wegen ihrer Abstammung, Religion oder ihrer sozialen Stellung Grundrechte verweigern,
  • die entweder bestimmte demokratische oder alle politischen Parteien verbieten
  • oder deren (Militär-)Regierungen mit Notverordnungen unter Berufung auf den in den Verfassungen vorgesehenen Ausnahmezustand dauerhaft regieren
  • oder deren Verfassung die Ernennung bestimmter Gremien, oder einzelner Mitglieder dieser Einrichtungen, etwa Kammern des Parlaments, dem Präsidenten oder Monarchen vorbehält
  • und in denen die Polizei oder Armee über Rechte verfügt, die die Freiheit, die Menschenwürde und die Berichterstattung willkürlich einschränken
  • und in denen die Versammlungs- und Vereinsfreiheit willkürlich eingeschränkt wird.

Demokratien sind demnach alle Systeme, in denen die genannten Beschränkungen nicht vorhanden sind. Länder also,

  • in denen einklagbare Rechtsnormen vor Diskriminierung schützen,
  • eine öffentliche und institutionalisierte Kontrolle der Amtsträger stattfindet,
  • die Bevölkerung ab einem bestimmten, möglichst frühen Alter ohne körperliche, materielle und administrative Repressionen von ihren Wahl- und BürgerInnenrechten Gebrauch machen darf (sofern BürgerInnen diese Rechte nicht schwerwiegend missbraucht haben oder dies ankündigen),
  • die gewählten VertreterInnen ihr Mandat frei ausüben können,
  • Verhaftungen und Strafen eines Rechtsakts unabhängiger RichterInnen bedürfen und Rechtsbeistand und Berufungsrecht in Anspruch genommen werden können,
  • Versammlungs-, Bewegungs-, Meinungs- und Vereinsfreiheit gewährleistet ist,
  • die Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt in Print- und elektronischen Medien gesichert wird
  • und die primäre Aufgabe staatlicher Institutionen darin besteht, die Sicherheit, die Grundrechte und die Menschenrechte der Bevölkerung zu wahren.

Demokratie – und auch Diktatur – hat Regelungen des Zusammenlebens von Menschen zum Ziel. Es gibt Fragen über die nicht abgestimmt werden kann, sondern deren Beantwortung ExpertInnen zu geben haben, etwa ob die Morphologie und die Geologie eines Tales die Anlage eines Stausees für ein Kraftwerk zulassen. Doch auch ExpertInnen-Meinungen und Gutachten können kontroversiell sein und in einem demokratischen System werden darüber ein offener Meinungsaustausch und ein öffentlicher Meinungsbildungsprozess stattfinden. Entschieden werden kann jedoch nur die Frage, ob ein Stausee angelegt wird oder nicht. Demokratisch unentscheidbar bleiben dabei die Fragen der Morphologie und Geologie.

Viele Entscheidungen sind nur begrenzt demokratisch zustande zu bringen und erscheinen daher als ein Produkt eines nicht-demokratischen Prozesses, wobei das Zustandekommen eines solchen Entscheidungsprozesses oftmals unreflektiert zur Kenntnis genommen wird. Viele dieser Entscheidungen können auch nicht mehr zurückgenommen werden, da sie anlassbezogen getroffen wurden und gültig bleiben, auch wenn sie sich nachträglich als Fehlentscheidungen herausstellen. Hier geht es um die grundsätzliche Frage von Effizienz und Demokratie. Manchmal ist es notwendig sehr schnell zu entscheiden und ein öffentlicher Meinungsbildungsprozess, ein Abwägen von Argumenten und eine Abstimmung über Konsensvarianten würde einige Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb sind EntscheidungsträgerInnen mit Macht ausgestattet. In einem demokratischen System sind die Machtbefugnisse genau festgelegt und die Handlungen von EntscheidungsträgerInnen werden kontrolliert. Dies sind Merkmale demokratischer Legitimation zur Machtausübung.

Wir können uns dem Spannungsfeld von Macht und Akzeptanz nicht-demokratischer Strukturen auch von einer anderen Seite her nähern. Demokratie bedeutet übersetzt Volksherrschaft und meint damit, dass Herrschaft vom „Volk“ ausgeübt wird. Das „Volk“ ist damit HerrscherIn und Beherrschte/r zugleich. Menschen legen also die Regeln ihres Zusammenlebens fest und verpflichten sich gleichzeitig, sich selbst daran zu halten. Notwendigerweise bedeutet dies auch, dass die Einhaltung der Regeln kontrolliert werden muss und die Regeln auch wieder geändert werden können. Nicht- demokratisch sind demnach alle Beziehungen zwischen den Menschen, die nicht die Gleichzeitigkeit von Herrschaft und beherrscht sein aufweisen. Das ist immer dann der Fall, wenn einzelne Menschen mit Rechten ausgestattet werden, Entscheidungen zu treffen und damit Macht über andere auszuüben. Soweit dies innerhalb festgelegter Grenzen geschieht und kontrollierbar bleibt, wird dadurch die Organisation des Zusammenlebens vereinfacht, ist also effizient.

Die Grenzen zwischen demokratisch und undemokratisch können ziemlich genau gezogen werden. Nicht-demokratisch bezieht sich daher in erster Linie auf demokratische Systeme, auf Demokratiedefizite. Ein wesentlicher Punkt dabei ist auch, ob man freiwillig auf Partizipation, auf Teilnahme am Entscheidungsprozess verzichtet, indem man vorher festgelegte Regeln akzeptiert, etwa beim Sport. Dennoch ist immer wieder zu hinterfragen, ob Machtbefugnisse notwendig, sinnvoll und effizient genug sind, um auf Herrschaft und Mitgestaltung zu verzichten.

Ganz anders verhält es sich in Unternehmen. Die Fragen von Produktionslinien und Produktionsstandorten, der Anzahl der MitarbeiterInnen und von Investitionen werden in Unternehmen von den beauftragten ExpertInnen, die in der Mehrzahl auch die EntscheidungsträgerInnen sind, beantwortet. Diese achten dann auch bei der Umsetzung strikt darauf ihre Vorgaben durchzusetzen. Über die Wirtschaftlichkeit entscheidet „der Markt“ ebenso wie über Gewinne und Verluste von Unternehmen. Während in einer Demokratie die Vorgaben und Übereinkünfte willentlich änderbar sind, ist „der Markt“ in der Wirtschaft mit einem absoluten Gültigkeitsanspruch ausgestattet, dessen technische Vorgaben zwar grundsätzlich gestaltbar, dessen grundlegende Mechanismen – Angebot und Nachfrage – jedoch unantastbar bleiben.

Demokratie ist immer auch eine Frage einer ausgewogenen Machtverteilung. Eines der Grundprinzipien von Demokratie ist die Gewaltentrennung. Sie besagt, dass die Gesetzgebung (Legislative, Parlamente, Nationalrat) getrennt von der Ausführung (Exekutive, zB. Regierungen) erfolgt und die Rechtssprechung (Judikatur, Gerichte) unabhängig von beiden ist. Am Beispiel der Europäische Union und der Schule werden zwei Einrichtungen behandelt, bei denen diese Trennung nicht in allen Bereichen vollzogen ist und die daher immer wieder hinterfragt und überprüft werden sollten.

  1. Geltungsraum demokratischen Entscheidens

Für weltweite wirtschaftliche Entwicklungen oder Veränderungen der Lebensgrundlagen, wie sie unter den Schlagwörtern Globalisierung oder Klimawandel international diskutiert werden und globales Handeln einfordern, gibt es nur unzureichende demokratische Entscheidungsinstanzen. Globales Entscheiden in internationalen Institutionen und Gremien erfolgt auf anderen Grundlagen als den national organisierten demokratischen Strukturen. Wir sprechen von „übergeordneten“ Prozessen, die Wirtschaft, Ökologie oder Informationstechnologien steuern, für die es keine oder noch keine demokratischen Strukturen gibt und für einige Fragen kann es auch keine demokratischen Strukturen geben.

Dies führt uns zu der grundsätzlichen Überlegung mit und in welchen räumlichen Vorstellungen Demokratie etabliert wurde. Demokratie und demokratische Selbstbestimmung spielt sich innerhalb festgelegter Grenzen ab. Demokratische Selbstbestimmung ist auf eine homogene Bevölkerung bezogen, deren Lebensraum als geschlossener geopolitischer Raum konstituiert wurde. Die Gleichartigkeit der Bevölkerung kann in einer Abstammungsgemeinschaft gesehen werden (Stamm), in einer gemeinsamen kulturellen Tradition (Volk), die etwa durch eine gemeinsame Sprache erzeugt wurde oder in einer Übereinkunft freier BürgerInnen, sich zu einem Staatswesen zusammen zu schließen. Herrschaft galt im Mittelalter lange Zeit als Herrschaft über Personen, erst ab dem 12. Jahrhundert führte die Idee, Herrschaft räumlich festzulegen, zu Territorialherrschaften.

In der Neuzeit bestimmten Kriege und folgende Friedensschlüsse die Grenzziehung von Herrschaftsgebieten, die ab dem 17. Jahrhundert durch eine Vereinheitlichung der Verwaltung und Rechtsnormen zu Staaten wurden. Im 19. Jahrhundert wurde der mittelalterliche, auf die Herkunft von Studenten an einer Universität bezogene Begriff Nation auf Herrschaftsgebiete und die dort lebende Bevölkerung übertragen. Die Idee nationaler, abgegrenzter, politischer Räume wurde als Nationalismus zu einer Ideologie mit zumindest zwei Argumentationslinien: einerseits der Zusammenschluss von Menschen, die – wie immer auch definierte – Gemeinsamkeiten gefunden haben in einem mit Grenzen abgeschlossenen Herrschaftsgebiet, andererseits die Beteiligung, die Mitwirkung und die Herrschaft der Bevölkerung.

Nationalstaatlich organisierte Demokratie kann unter den drei Perspektiven Stabilität, Pluralismus und internationales Engagement (vgl. Wolfrum, 2007, S. 18) gesehen werden. Stabilität umfasst dabei einerseits ein Zurechtfindenkönnen in einer politischen Ordnung, wie auch die Fähigkeit, sich neuen oder veränderten Bedingungen flexibel anpassen zu können. Pluralismus bedeutet die Förderung möglichst vieler Standpunkte in einer öffentlich geführten Diskussion, das persönlich geprägte Urteil und die Fähigkeit zum Konsens. Internationales Engagement ist durch die Anerkennung von unteilbaren Grundwerten geprägt (Anerkennung der Souveränität anderer Staaten, weitgehende Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, die Achtung der Menschenrechte), um auf zwischenstaatlicher Ebene friedliche Konflikt- und Problemlösungen zu erreichen.

Die zwischenstaatlichen Beziehungen

Im 20. Jahrhundert gewann die Idee der Internationalisierung an Bedeutung. Darunter sind alle Kontakte zwischen einzelnen Staaten zu verstehen, die über die aktive oder passive Beteiligung von zwei Staaten hinausgehen und im Idealfall alle Staaten umfassen. Die erste Organisation war der 1919 gegründete Völkerbund, der sich die friedliche Konfliktlösung auf zwischenstaatlicher Ebene zum Ziel setzte. In der Völkerbundsatzung war jedoch auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker verankert, als Absage an den Kolonialismus. Mit der Unabhängigkeit der Kolonien nach dem 2. Weltkrieg wurde zumeist dem Territorialprinzip entsprochen, denn die Unabhängigkeit erfolgte zumeist in den von Kolonialmächten festgelegten Grenzen.

Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg wird als „Kalter Krieg“ bezeichnet. Darunter versteht man die weltweite Auseinandersetzung zwischen den beiden Gesellschaftsmodellen Demokratie und Sozialismus. Beide Gesellschaftsmodelle hatten auch ein jeweils eigenes Wirtschaftssystem, Marktwirtschaft und Zentralverwaltungswirtschaft. Bis 1989, dem Jahr des Zusammenbruchs der sozialistischen Staatsmodelle, galten Marktwirtschaft und Demokratie als zusammengehörig. Die freie Marktwirtschaft sicherte durch Wirtschaftswachstum und Verteilungsgerechtigkeit die demokratisch gewählten Regierungen.

1952 formulierte der französische Demograf Alfred Sauvy in einem Zeitungsartikel mit dem Titel „Trois Mondes, une Planète“ die Bezeichnung „Dritte Welt“. Darunter verstand er alle Staaten, die nicht zum Westen („1. Welt“) oder zum Ostblock („2. Welt“) gehörten. Sehr bald wurde dieser rein politische Begriff als wirtschaftliche Kategorie gedeutet, als Bezeichnung für alle Staaten, die durch eine geringe Wirtschaftsleistung und den damit verbundenen Problemen gekennzeichnet wurden. Seit 1990 etablierten sich in einigen Staaten der „3. Welt“ Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle aus Marktwirtschaft und undemokratischen oder nicht-demokratischen politischen Systemen. Undemokratische Machtträger sind weniger von der Zufriedenheit der Bevölkerung abhängig und Freiheit oder Verteilungsgerechtigkeit lässt sich leichter in eine ferne Zukunft projizieren. Dabei spielt ein kultureller, nationaler, religiöser oder revolutionärer Wertekanon, den die undemokratisch Regierenden ideologisieren, eine wichtige Rolle.

Für einige Fragen und Problemfelder gibt es bereits grenzüberschreitende Zusammenschlüsse, vor allem im Bereich nicht-staatlicher Organisationen wie Greenpeace, Amnesty International oder im Sport. Hier kann sich vielleicht neben dem nationalstaatlichen Demokratiemodell ein „problemorientiertes“ Demokratiemodell etablieren. Auf themenbezogenen Weltkonferenzen vom Klimawandel bis zu Fragen der Bevölkerungsentwicklung sind NGO´s (Nicht-Regierungs-Organisationen) bereits vertreten und aus dem Prozess der Problemlösung nicht mehr weg zu denken.

  1. Die Grundrechte von Einzelnen

2008 gelten die Mehrzahl der Staaten als Demokratien, auch wenn diese Zuordnung in einigen Fällen problematisch ist: wenn etwa die Armeeführung eine entscheidende Rolle bei Entscheidungen hat, wenn bestimmte Formen der Gesetzgebung nicht auf demokratisch gewählte RepräsentantInnen zurückzuführen sind oder wenn Parlamentswahlen und die Wahlwerbung Repressionen gegenüber bestimmten Bevölkerungsteilen unterliegen. Die Etikettierung als Demokratie drückt in diesen Staaten oftmals einen weit fortgeschrittenen Demokratisierungprozess aus. Auch die aus einer parlamentarischen Tradition stammenden Strukturen, wie etwa das britische Oberhaus oder die Ernennung von wenigen SenatorInnen auf Lebenszeit in Italien rechtfertigen wohl kaum eine Zuordnung dieser Staaten zu Diktaturen.

Ein weiteres Problem stellen internationale Vereinbarungen dar. Viele davon sind auf den ersten Blick rein technische Vorgaben, etwa die Senkung des CO2-Austoßes nach dem Kyotoprotokoll in den westlichen Industriestaaten durch eine Reduktion der Verbrennung von fossilen Brennstoffen wie Kohle oder Erdölprodukten. Wenn aber Teile der Industrieproduktion in die „3. Welt“, die nicht an die Vorgaben des Kyotoprotokolls gebunden ist, verlagert wird, entsteht ein soziales und wirtschaftliches Problem. Daraus könnte in den westlichen, demokratischen, Staaten auch ein politisches Problem werden, wenn die demokratisch legitimierten Regierungen nicht mehr für den Wohlstand und die Versorgungssicherheit garantieren können.

Zwar kann eine Bevölkerung im Angesicht nachvollziehbarer Bedrohung kurzfristig auf demokratische Rechte verzichten, etwa nach Terrorattentaten oder Naturkatastrophen, um Hilfsoperationen möglichst schnell wirksam werden zu lassen. Darunter fallen Evakuierungen aus Wohnungen, Absperrung von bestimmten Gebieten, oder die Einschränkung des Individualverkehrs, um Verkehrseinrichtungen für Hilfsmannschaften und Hilfsgüter frei zu halten. Fällt die Nachvollziehbarkeit der Bedrohung weg, müssen auch die Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten wieder rückgängig gemacht werden.

Sicherheit umfasst auch das Recht auf Anonymität, dass also nicht alles beobachtet, festgehalten und zentral erfasst, gespeichert und zusammengeführt werden kann, was als Privatsache jedes/r Einzelnen/r gilt: Krankheiten, Mobilität oder private Beziehungen.

Konzepte, Fragen und Antworten

Gefragt wird nach Lösungskonzepten für die alte Frage nach dem Stellenwert des Einzelnen/der Einzelnen in der Gesellschaft, im Staat und in der Welt. Im Folgenden sollen Beispiele näher beschrieben werden, an denen Orientierung für sich selbst zu finden sein sollen. Dabei sind die Begriffe Macht und Akzeptanz sowohl als Einheit, wie auch getrennt voneinander zu betrachten. Nicht alles, was in Demokratien akzeptiert wird, ist auch demokratisch entschieden worden und die Fügung unter Machtbefugnisse Einzelner wird in einigen Fällen grundsätzlich akzeptiert (zB. Sport, Unternehmen). Daneben gibt es auch Grauzonen, Institutionen die zwar demokratisch legitimiert sind, in denen aber Demokratie noch ausbaufähig erscheint (Schule, Europäische Union). Ein relativ neues Feld ist mit dem Schlagwort vom „global village“ verbunden und unterliegt einer global governance (zB. Internet).

Zu fragen ist dabei immer nach der Unterscheidung von Akzeptanz und Partizipation, von akzeptablen Normen, auch wenn sie nicht-demokratisch zustande gekommen sind und der eigenen Fähigkeit, Vorschläge einzubringen und Veränderungen herbeizuführen. Verzicht auf Selbstbestimmung muss nicht Verzicht auf Mitbestimmung bedeuten und umgekehrt, Mitbestimmung sollte die Selbstbestimmung nicht unbedingt beschneiden.

Noch etwas ist zu berücksichtigen: Menschenrechte und Demokratie bedingen einander. Mündige StaatsbürgerInnen können sich ohne Zutun von anderen entscheiden, solange sie die Andersartigkeit von Mitmenschen respektieren, die sich auch an dieser Wertvorstellung orientieren.

Friedrich Öhl

Demokratie und Markt.
Nicht-demokratische Strukturen in Wirtschaft und Unternehmen

 

Demokratie und Marktwirtschaft bilden eine Einheit im Sinne eines liberalen Verständnisses von Gestaltung und Partizipation. Dennoch gibt es wesentliche Unterschiede beim Zustandekommen von Entscheidungen in Politik und in Unternehmen. Zum einen schafft Politik ein konsensuales oder zumindest mehrheitsfähiges Regelwerk, nach dem sich die BürgerInnen eines Staates zu richten haben, zum anderen antizipiert Politik die Vermeidung von „Katastrophen“ (Beck, 2007, S. 29), die das soziale Gefüge, den Lebensstandard, das soziale Netz, die Gleichheit, die Partizipationsfähigkeit oder die soziale Mobilität, (zer)stören könnten. Wirtschaften zielt auf die Befriedigung von – zumeist materiellen – Bedürfnissen, wobei Unternehmen die Produktion und den Absatz auf die jeweiligen Marktverhältnisse ausrichten, die von Angebot und Nachfrage gesteuert werden.

Die meisten europäischen Staaten haben ihre sozialen Systeme von wirtschaftlichen Kriterien wie Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum oder Steigerung des Lebensstandards abhängig gemacht und sind solcherart eine enge Beziehung zu Wirtschaft und Unternehmen eingegangen. Dies brachte demokratische Politik in eine Abhängigkeit von ökonomischen Entscheidungen, deren Rationalität auf nationalstaatliche Grenzen als dem demokratisch strukturierbaren Entscheidungsraum von Politik immer weniger Rücksicht nimmt. Weltweit tätige Unternehmen operieren in diesem Spannungsfeld einzelner Nationalstaaten und deren mittelfristiger Berechenbarkeit.

Die Weltbank veröffentlicht jährlich eine Studie zur Wettbewerbsfähigkeit einzelner Staaten (Doing Business, M IV/1). Darin werden einzelne Faktoren nationaler Gesetzgebung – Unternehmensgründung, Steuersätze, Kündigungsregelungen usw. – den Vorteilen für ein Unternehmen gegenüber gestellt und damit das Konkurrenzmodell der Marktwirtschaft auf Staaten angewandt. Während einige Faktoren, wie etwa Rechtssicherheit oder stabile Finanzinstrumente, durchaus auch vorteilhaft für die Bevölkerung sind, gibt es andere Faktoren, wie etwa Kündigungsschutz oder weitere arbeitsrechtliche Absicherungen, die von Unternehmen ganz anders gesehen werden, als von den ArbeitnehmerInnen des betreffenden Staates.

Unternehmen, Wirtschaft und Demokratie

Wirtschaften orientiert sich an in Geld materiell messbaren Erfolgszahlen, Unternehmen legen Bilanzen, aus denen Gewinn und Verlust und bisweilen auch deren Ursachen (halb-) jährlich ablesbar sind. Demokratische Gesellschaften und Systeme haben solche leicht nachvollziehbaren Messgrößen nicht.

Die UNO hat einen Human Development Index (MIV/4) entwickelt, der Auskunft über den Zugang zu wesentlichen Einrichtungen (ÄrztInnen, Schulen oder Nahrung) gibt und somit die Teilhabe am Lebensstandard misst. Es gibt einen Korruptionsindex (MIV/5), der Staaten nach dem Zugang zu behördlichen Entscheidungen im Verhältnis zu den Zahlungen an einzelne BeamtInnen oder PolitikerInnen reiht, einen Pressefreiheitsindex (MIV/3), der die Freiheit der Berichtserstattung durch Journalistinnen ausdrückt, die Auflistung von Menschenrechtsverletzungen durch Amnesty International (http://www.amnesty.at/) oder Human Rights Watch (www.hrw.org/ ), oder die Liste der failed states (http://www.fundforpeace.org/web/index.php?option=com_content&task=view&id=99&Itemid=323), die nicht für die Sicherheit ihrer Bevölkerung sorgen oder diese absichtlich gefährden. All diese Rankings vergleichen Nationalstaaten nach wesentlichen Kriterien für Demokratie und suprastaatliche Organisationen und Einzelstaaten beschließen mitunter Sanktionen gegen zuwiderhandelnde Regierungen. Dies kann, wie in Südafrika zur Abschaffung der Apartheid, der Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, zum Erfolg führen und Regime zu Fall bringen.

Schwierig wird es, wenn Unternehmen mit undemokratischen Regimen zusammenwirken, wenn Korruption die Einhaltung elementarer Arbeitsbestimmungen (Sklavenarbeit, Kinderarbeit, übermäßig lange Arbeitszeiten, Körperstrafen) verhindert. Wenn die Berichterstattung über solche Arbeitsbedingungen unterdrückt wird, ist auch eine Reaktion des Marktes nicht zu erwarten. Es gibt genügend Beispiele dafür, dass etwa der Zugang zu Rohstoffen Bürgerkriege initiiert, bei denen auch KindersoldatInnen rekrutiert wurden: der – heute bereits verbotene – Abbau und Verkauf von „Blutdiamanten“ in Liberia, die – meist indirekte – Mitfinanzierung der Vertreibung von Tausenden in Darfur durch Erdölkonzerne, der Bandenkrieg an der Grenze zwischen Kongo und Rwanda um den Handy-Rohstoff Tantalium. Der Handel mit Blutdiamanten wurde durch ein Agreement der wichtigsten Diamantenhandels- und Verarbeitungsunternehmen, das die genaue Zertifizierung der Herkunft kontrollierbar macht, unmöglich gemacht. Konzerne, die Aufträge an Subunternehmen geben, die die Produktion durch Kinder- oder Sklavenarbeit leisten, müssen nach Bekanntwerdung mit Umsatzeinbrüchen rechnen und viel Geld in Kampagnen investieren, die die soziale Absicherung der ArbeiterInnen, auch in Subunternehmen sicherstellen. Diese Maßnahmen funktionieren aber bestenfalls in Demokratien, wenn die Berichterstattung darüber möglich ist und die freie Meinungsäußerung (MIV/3) und die Initiierung von Kampagnen nicht von staatlichen Institutionen behindert wird. Auch die globalisierte Produktionsverteilung verhindert, dass bestimmte Unternehmen öffentlich gebrandmarkt werden können. Wer weiß heute, in welchem Handy Teile aus Tantalium aus dem Kriegsgebiet im Kongo verarbeitet wurden?

Global Compact, eine im Jahr 2000 gegründete Initiative der UNO (www.unglobalcompact.org) hat 10 Prinzipien aufgestellt, nach denen Unternehmen handeln können, um Verletzungen der Menschenrechte hintanzuhalten (MIV/7).Das betrifft nicht nur den Bereich innerhalb der Fabriksmauern, in denen Unternehmen eine unmittelbare Verantwortung haben, sondern auch den Bereich staatlicher Maßnahmen. Demnach haben Unternehmen sehr wohl dagegen aufzutreten, wenn für ein Fabriksgelände oder ein Kraftwerk Häuser geschliffen werden müssen und die Bevölkerung zwangsvertrieben wird, um nicht in eine Komplizenschaft zu Menschenrechtsverletzungen zu geraten.

Demokratisches Wirtschaften

Es gibt also, wenn auch mit Grenzen, durchaus Möglichkeiten, in Demokratien marktwirtschaftlich auf Mensachenrechtsverletzungen zu reagieren. Der Erfolg demokratiegebundener Kontroll- und Reaktionsmöglichkeiten ist jedoch nicht messbar in Viertel- oder Halbjahresausweisen. Zum einen können Regierungen von der Bevölkerungs- und WählerInnengruppe nicht so einfach wie ein Management ausgetauscht werden, zum anderen erfolgt die Meinungsbildung bei politischen Maßnahmen im Zuge einer öffentlichen bzw. über Medien geführten Diskussion. Zudem ist das Verhältnis von Parlamenten zu Regierungen ein grundsätzlich anderes, als zwischen Management und EigentümerInnen. Parlamenten obliegt die Gesetzgebung und die AbgeordnetInnen vertreten nicht Eigentumsinteressen.

Wirtschaften hat aber auch einen kulturgebundenen Stellenwert, Wirtschaftsregelungen unterliegen politisch nicht bloß wirtschaftlichen Kennzeichnungen, sondern sind gebunden an Traditionen, Anpassungserfordernissen auf regionaler, staatlicher und globaler Ebene und an mehrheitsfähige Konsensbildung. Auch Unternehmen pflegen eine eigenständige Kultur, vor allem was die Regelungen der Umgangsformen der MitarbeiterInnen untereinander und mit ihren Vorgesetzten betrifft. Solche Unternehmenskulturen umfassen auch Bekleidungsregeln, Büroarchitektur und Büro- oder Betriebsorganisation.

Kulturgebunden hat aber auch noch andere Bedeutungsebenen und Interpretationsvarianten. Ein Aspekt ist dabei solidarisches Handeln innerhalb eines durch Grenzen festgelegten politischen Entscheidungsraumes (Bund, Land, Gemeinde). Solidarisches Handeln hat in West- und Mitteleuropa eine andere Bedeutung als in den USA oder in Ostasien. Der Staat hat nach europäischer Tradition die Aufgabe zugewiesen bekommen, ein soziales Netz zu spannen, um in schwierigen (Ausnahms-)Situationen individuell zu helfen (zB. nach Naturkatatstrophen), bzw. um für bestimmte, immer wieder auftretende Lebenssituationen Mittel bereitzuhalten (zB. Arbeitslosigkeit, Krankheit). Dabei gilt das Prinzip, das die besser Verdienenden, entsprechend ihres Gehaltes, mehr dazu beitragen (Steuern, Sozialversicherung). Jede/r BürgerIn hat ein Anrecht auf Solidarität der anderen, wie dies organisiert ist, ist die Entscheidung politischer Willensbildung. Unternehmen hingegen verstehen sich nicht als solche Solidargemeinschaften.

Der Staat hat bestimmte Aufgaben übernommen, von denen auch Unternehmen wesentlich profitieren, etwa durch ein gutes öffentliches Bildungssystem, zu dem alle Zugang haben und entsprechend ihren Fähigkeiten und Leistungen unterschiedliche Bildungsabschlüsse erreichen können, die zB. EU-weit geregelt und gegenseitig anerkannt werden Ein weiteres Beispiel von denen auch Unternehmen profitieren, sind die Ausgaben für die öffentliche Sicherheit, etwa der Schutz des Eigentums und die Sicherheit der MitarbeiterInnen. Mit diesen Ausgaben stellen sich Staaten dem internationalen Wettbewerb um Unternehmensstandorte und profitable Unternehmensbereiche, etwa Firmenzentralen oder Forschungszentren, und sichern damit der eigenen Bevölkerung hochwertige Arbeitsplätze.

Ein besonderes Problem stellen Fragen rund um den Schutz der Umwelt dar. Ressourcen wie die Luft sind für alle kostenfrei zugänglich. Anders verhält es sich bei Wasser, das in den Trockenräumen der Erde als knappes Gut einer Verteilungsregelung unterliegt, sofern es sich nicht um den seltenen Regen oder um Trinkwasser handelt. In einigen Gebieten Nordafrikas oder SW-Asiens haben Besitzer von Quellen oder Bewässerungskanälen Wasser seit Jahrhunderten nur gegen Bezahlung an Bauern zur Bewässerung der Felder weitergegeben. Für Unternehmen ist es eine wichtige Kostenfrage, ob diese Ressourcen kostenlos zur Verfügung stehen oder nicht. Genauso ist es eine Kostenfrage, Schadstoffe nicht einfach an die Luft abzugeben oder im Produktionsprozess verunreinigtes Wasser wieder in Flüsse, Seen oder ins Meer zu leiten.

Grundsätzlich hat die Weltbevölkerung ein Anrecht auf den Erhalt einer Umwelt, die Leben ohne Gesundheitsgefährdung ermöglicht. Eine wirksame Methode auf regionaler Ebene ist es, der Bevölkerung ein Mitspracherecht bei Bauvorhaben einzuräumen, wenn gleichzeitig sicher gestellt ist, dass eine wissenschaftliche Bewertung der Umweltbelastung (in Österreich: Umweltverträglichkeitsprüfung) erfolgt. Im globalen Maßstab wurde das Problem bisher durch das sogenannte Kyotoprotokoll geregelt, nach dem sich die Unterzeichnerstaaten (nicht alle Staaten der Erde) verpflichten die Schadstoffemission in die Luft zu verringern. Ein sehr kompliziertes Verfahren ermöglicht es Unternehmen CO2 – Zertifikate zu handeln. Die Fabriken, die viel CO2 emittieren müssen demnach für den Schadstoffausstoß zahlen, während jene Fabriken, die CO2 Emissionen niedrig halten, davon profitieren.