Lehren als Beruf

oder wozu Schule ?
subjektive Anmerkungen zu Bildungsreformforderungen in Permanenz
Warum müssen Lehrer/innen immer wieder nach Umsetzungsvarianten zeitgeistiger Bildungsziele und Schulausrichtungen suchen? Ist das eine Reflexionsübung, ein feed-back training, eine Standortbestimmung? Oder gar ein reinventing school Programm? Schulen haben nunmehr doch alle ein schönes, identitätsstiftendes Schulprofil, das bloß kaum jemand kennt und so auch fern von Anwendung ist. Die Eingangsschilder werden von Zeit zu Zeit neu gemacht (was ehedem Mittelschule war, wurde zur AHS und weil die Bezeichnung nun frei geworden war, wurden die Hauptschulen – ihres caputs beraubt – zu neuen Mittelschulen). Wer braucht diese Reform-Arbeiten also – außer den Schildermalern vielleicht? Werden die Lesefähigkeiten verbessert, wenn Kinder und Jugendliche den ganzen Tag in der Schule sind oder doch nur die allein- und manchmal auch noch zuzweiterziehenden Mamas und Papas von den Schullasten ihrer Kinder entlastet.

Ich bekomme kein schlechtes Gewissen, wenn südkoreanische Schüler (die Besten in internationalen Vergleichen vor Pisa, seither hinter Finnland) um 20% mehr Wissen in Geographie (was ist eigentlich geographisches Wissen?) oder Geschichte haben, oder wenn australische fünfjahrige Kid´s um zwei Jahre Schule mehr vor sich haben als österreichische Kinder (nicht nur in Australien), denn ich kämpfe nicht um Marktanteile um andere Schulen vom Markt zu verdrängen.
Seit die Reformpädagogin Ellen Key um 1900 das Jahrhundert des Kindes ausrief, wurde Schule – und ich sehe es durchaus nicht nur negativ – als Bastelwerkstatt gesellschaftlicher Erkenntnisreproduktion benutzt: Erziehung zu – im Sinne der jeweiligen Ideologie – besseren  Menschen vs. Mündigkeit! Mit den Forderungen der bildungsökonomischen Darwinisten, Schule zum Trainingsstudio des „surviving of the fittest“ für den beruflichen Über-Lebenskampf zu machen, begann auch eine Kehrtwendung von der sozialromantischen, gesellschaftskritischen „Kuschelpädagogik“ („die Kinder sollen es besser haben“) zur utilitaristischen, rationalisierten Globalisierungspädagogik (weshalb jetzt wohl für einzelne Schulen Marktpositionierung und Konkurrenzfähigkeit artikuliert werden muss).Ich brauche kein weiteres „schulautonomes“ (oder nationales oder suprastaatliches EU-) quality standard paper nur um reguliert dereguliert werden zu können!
Zwischen den beiden Eckpunkten den Schulen zugewiesener Aufgaben, zwischen der Reparatur ausserpädagogisch zerstörter Kinder und dem Vergleichskampf schulischer Leistungsfähigkeit im Weltmaßstab droht das verloren zu gehen, was einst als Bildungs- und Lernort erdacht wurde. Weder Nestwärme noch kalte Berufswelt, weder Scheingeschäfte noch familiale Kommunikationsformen hatten in der Schule Platz. Schule war weder Ort der subjektiven, persönlichen Identitätsbildung, aber auch nicht der Ort der Verherrlichung von shareholder-values. Schule war eines von mehreren Angeboten zur Identitätsfindung, Ort der reflektierten Vorbereitung auf Beruf, Familie, Gesellschaft, politischem Handeln und – zumindest als aufklärerische Forderung – Eigenständigkeit, Selbstständigkeit. Schule ist nicht das ganze Leben, Schule muss deshalb aber nicht lebensfremd sein. Schule sollte weder integrationistisch oder utilitaristisch mit Kindern umgehen und Schule sollte weder privat-familiär-freundschaftlich noch öffentlich konkurrenzorientiert sein. (Schule war natürlich nie nur gut, aber wo sonst hätte ich die ziemlich brotlose Frage diskutieren können, ob Caesar nun ein korrupter Massenmörder oder ein idealistischer Reformer war und wo sonst hätte ich die – auch heute diskutierenswerte – Frage, weshalb der neureiche Cicero denn gar so viel Angst vor dem Sozialrevolutionär Catilina gehabt hat, stellen können?)
Ist es nicht auch schön gewesen, sich jahrelang mit völlig alltagsunverwendbarem Altgriechisch oder Latein zu befassen, sich einfach Zeit zu nehmen für sinnloses Lernen von Gedichten, Antworten auf Fragen zu suchen, die nirgendwo sonst als in der Schule fragbar waren? Ist es nicht heute noch die Aufgabe der österreichischen Schule, Platons Idee des Wahren, Guten und Schönen umzusetzen? Warum dürfen Schüler/innen nicht einfach etwas lernen, abseits vom leben lernen oder für das Leben lernen? Warum soll ich SchülerInnen belügen, indem ich vorgebe zu wissen, wie sie vom Drogenkonsum, von Kriminalität, Fremdenhass, Rechtsradikalismus und Frauendiskriminierung fernzuhalten sind, nur weil ich und andere das für schlecht halten, warum soll ich ihre intellektuellen Fähigkeiten missbrauchen um ihnen einzureden, dass nur den Tüchtigsten von ihnen die Welt der Arbeitslosen nicht droht, denn es ist ja ökonomische, marktbestimmte Vernunft, auch sie zu kündigen, weil restrukturieren und downsizen nicht nur unabänderlich, sondern auch noch gut und richtig, weil aktienkurssteigernd ist?
Schule kann gerade als Produkt gesellschaftlicher Ansprüche nicht die Deformationen der Gesellschaft kurieren, die ja auch nur dann, wenn sie als sonst wie irreparabel gelten, der Schule angehängt werden (es gibt Alkoholismus doch auch ganz ohne Branntweinzimmer in den Schulen!). Schule kann aber genauso wenig rivalisierenden Ansprüchen fragmentierter Gesellschaften gerecht werden. Einer meiner Lehrer in der Mittelschule (also noch vor der Umbenennung in AHS) verkündete in der 3. Klasse, jetzt endlich ordentlich arbeiten zu können, da kein Arbeiterkind mehr in der Klasse ist – ein Umstand, den die Pisastudien für Österreich (und Bayern) noch jetzt kritisieren, auch wenn das heute nicht so formuliert werden könnte.
Schule und in erster Linie Lehrer/innen sollten sich nicht von bundesweiten, einheitlichen Inhalten abbringen lassen (i.e. Lehrpläne), auch wenn sich die Schulpolitik auf die Überwachung an Schulabschlüsse gekoppelter Berechtigungen zurückziehen will.
LehrerInnen sollten sich wehren (nicht bloß verweigern!), spielende/r therapierende/r ältere/r FreundIn zu sein, oder FitnesstrainerIn für unreflektierte Marktzwänge. (Wann wird das in Medien als  Marktismus negativ untertönt?)