documenta 15 Kassel 2022

Künstlerische Leitung: ruangrupa, Konzept: lumbung
67 Beteiligte Künstlerinnen und Künstler, Kollektive, Initiativen, Organisationen
32 Veranstaltungsorte 

Ruangrupa fordert mit lumbung, der Reisscheune, in der der Ernteüberschuss an Reis kollektiv verteilt wird, Kooperation, Kollektivarbeit, soziales Engagement, gerechte Verteilung ein. Lokal geborene Ideen werden zu regionalen Initiativen, die nun global gezeigt, Gesellschaften und Künstler*innen interagieren lassen und Kollektive animieren will, auf Ansprechen zu zielen.

Die documenta 15 ist also anders. Die größte weltweite Kunstschau provoziert nicht, macht nicht ratlos, ist aber über weite Strecken langweilig verstörend informierend, denn Fakten, die seit dem 1. Bericht des Club of Rome in Diskussion stehen, werden als News geboten. Allerdings vielfach in persönlicher Betroffenheit, seltener als sarkastischer Witz. Die documenta15 ist nichts für Lesefaule, denn verbale Botschaften hängen ubiquitär. Die Absage an die gegenwartsgesteuerte documenta hängt beiläufig an einem Brückengeländer knapp vor dem Hallenbad mit zubetoniertem Becken.  Dort, wo auch der bisherige Skandalhöhepunkt entfernt wurde, nicht weil entartet, sondern weil antisemitische Konnotationen spät, aber doch erkannt wurden. Die Freiheit der Kunst hat in Deutschland doch Grenzen, das passiert halt, wenn ein Künstler*innen-Kollektiv (TaringPadi) mit der anderen, der ihnen fremden, Befindlichkeit von Gesellschaften interagiert. Dabei wurde doch nur die judenfeindlich antisemitische bildsprachliche Praxis der Zwischenkriegszeit von der niederländischen Kolonialmacht nach Indonesien gebracht und gegen Chines*innen gewandt – und nun kritisch zitiert zurückgebracht, so die entschuldigende Zustimmung zur Demontage des Banners.

Lumbung ist eben auch eine vielfältige politische Botschaft, das wird überall deutlich und mitunter kreativ umgesetzt. „In einer Zeit, in der innovative Kraft insbesondere von unabhängigen, gemeinschaftlich agierenden Organisationen ausgeht, erscheint es folgerichtig, diesem kollektiven Ansatz mit der documenta eine Plattform zu bieten.“ begründete die documenta Kommission ihre Entscheidung für die ruangrupa-Kuratierung.

Gleich am Bahnhof erwartet die Besucher*innen Dan Perjovschis Streetart. In den 32 Ausstellungsorten wird die politische Botschaft zelebriert, auch wenn sie nicht überall verständigungsorientiert vermittelt wird. Es ist ermüdend, sich durch scheinbar endlose Fotos mit Sprechblasen zu lesen, wo nicht so deutlich wird, ob es ein LGBTQ+ Thema ist oder es um Praktiken des arabischen (?) Literaturbetriebes geht, vermutlich will es beides. Die beiden Hauptaustellungsräume Fridericianum und documenta-Halle sind monumental-detailreich ausgestaltet und überfordern in ihrer unterschiedlichen Vielfalt, wobei die leinwandbemalten Bilder aus einer vergangenen Gegenwart fast stören, sind sie doch kollektivfreie, aber gerne fotografierte  Arbeiten von Einzelpersonen. Schwierig sind allzu viele Installationen einzuordnen, falls sie überhaupt Installationen sein wollen. Aufgehängte Puppen, ein „Klassenzimmer“, herabhängende kunstakedemiekritische Textbanner oder Maschinenantriebsketten kontrastieren mit dem „I am a man“-Gemälde von Richard Bell, das ein Besucher, vielleicht in „me too“ Absicht, fotografiert.

Spannender waren die beiden Orte Hafenstraße und Hübnerhaus. Vielleicht haben wir uns bereits eingesehen in die Arbeiten und ihre vermeintlich gewollten Botschaften. Sie waren sie auch eindeutiger konnotiert und offener für argumentativ gestützte dialogische Bewertungsversuche.

Dennoch:  Zustimmendes Achselzucken, Aha-Kenntnisnahmen oder unverstandenes Aja bestimmen die Wahrnehmung etlicher Objekte. Computerspielen oder mit Sticks auf Ziegel rhythmisch klopfen beleben den Kunstkonsum nur vorübergehend. Irgendwann wird die lumbung-Botschaft eintönig: zu viel an An-Deutungen, zu wenig konkretisiert, kaum Denotationen, außer in einigen Videos, die neben privater Befindlichkeit Allgemeingültigkeit vermitteln.. 

Dennoch bleibt überwiegend ein positiver Eindruck, von den Inhalten, den Auseinandersetzungen mit lumbung, dem Ideenreichtum, der erkennbar nicht immer einfachen Zusammenarbeit von Kollektiven.

Beeindruckend stets die Art der Präsentation: Bilder und bildhafte Objekte hängen teilweise übereinander, in verschiedenen Höhen, an die Wand gelehnt, liegen am Boden, schweben von der Decke, stehen sich im Weg, nehmen einen ganzen Raum ein oder nur eine Ecke, manchmal bleibt die Raummitte leer, manchmal nimmt etwas Monumentales die Sicht in den Raum. Absichten erkennen, analysieren, synchronisieren sind  Zugänge, mit denen man der documenta 15 kaum näher kommt. Irgendwann weicht das Verstehenwollen dem Gefühl, dass hier so etwas wie eine Postgegenwartskunst begonnen hat, die die Charge europäischer Traditionen entbehrt. 

 

Viele weitere Beispiele zB. auf https://universes.art/de/documenta/2022 .